Das Wunderkind von Lund

(© Nicklas Öbom)

William wurde mit einem Hypoplastischen Linksherzsyndrom (HLHS) geboren und hat schwere Komplikationen bei der Operation überlebt. In seiner Heimat Schweden wird er deshalb auch das Wunderkind von Lund genannt. Sein Bruder Cristofer-Robin hat ebenfalls einen Herzfehler. Dies ist ihre Geschichte.

„Das Herz von meinem Bruder William hat nur drei Viertel eines Kuchens“, erklärt Williams große Schwester Fanny ihren Freunden. Und ihr anderer kleiner Bruder, Cristofer-Robin, hat ein Herz dessen Türen nicht richtig schließen.

“Als unser Sohn William geboren wurde stellte sich heraus, dass er HLHS hat. Die Ärzte meinten, dass nur ein geringer Prozentsatz von Kindern betroffen sei”, erklärt Williams Mutter Veronica, „und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geschwisterkind betroffen sei, betrage nur einige wenige Prozent. Als ich dann ein weiteres Kind erwartete, gingen wir zu einer gezielten Ultraschalluntersuchung und fühlten uns dabei ziemlich sicher. Umso größer war dann der Schock, als auch bei unserem Sohn Cristofer-Robin ein Herzfehler festgestellt wurde.“

„Man sollte seinen Kindern zwar im Voraus nichts versprechen. Aber Fanny hatte ich diesmal versichert, dass ihr kleiner Bruder gesund sein würde und sie ihn nicht mit all diesen Schläuchen wie schon bei ihrem Bruder William sehen müsse“, erinnert sich Veronica. „Nach der Geburt Cristofer-Robins bat ich meine Schwester, die sich um Fanny kümmerte, am Telefon, sie sofort ins Krankenhaus zu bringen. Ich wollte, dass Fanny ihren kleinen Bruder noch so makellos und hübsch sah, wie er bei der Geburt war, bevor sich das Operations-Karussell zu drehen begann – schon wieder!“ Cristofer-Robin wurde im Alter von zwei Monaten operiert. In der nächsten Zeit steht die Implantation einer mechanischen Klappe an.

Preis für ein fast normales Leben

Veronica, ihr Mann Nicklas, Fanny (fünf Jahre), William (zweieinhalb) und der einjährige Christofer-Robin leben in einem gelben Reihenhaus in Svartbäcken außerhalb von Stockholm. Williams Nachbar und bester Freund Ludwig wurde ebenfalls mit HLHS geboren.

“Williams schwere TCPC Operation sollte ermöglichen, anschließend ein Leben als fast normaler kleiner Junge führen zu können”, sagt Veronica. Allerdings entwickelten sich die Dinge anders. William wurde im September 2008 in Lund operiert. Die Ärzte meinten zwar, es wäre eine Routine-Operation für William. Sie wiesen jedoch auch darauf hin, dass immer ein Risiko bestünde. Obwohl es nicht die erste Kinderherzoperation für Williams Eltern war, ist diese Erfahrung für sie noch heute ein schreckliches Erlebnis.

(© Nicklas Öbom)

Nach der Operation teilte der Chirurg den Eltern mit, dass es sehr gut gelaufen sei und sie sogar eineinhalb Stunden früher als erwartet fertig geworden wären. Mit einer minimalen Klappenundichtigkeit und einem intakten Aortenbogen hatte William eigentlich alle Voraussetzungen für einen positiven Verlauf der Behandlung mitgebracht. Trotz des geringen Risikos ging etwas schief. Nach einigen Tagen auf der Intensivstation wurde William auf die Normalstation verlegt. Verständlicherweise hatte er große Angst vor Ärzten und den Krankenpflegern. Immer wenn ihm die Schwestern zu nahe kamen, geriet er in Panik, drehte den Kopf weg und strampelte mit den Beinen. Nur seine Arme rührten sich nicht. „Zuerst dachten wir, er möchte sie nicht bewegen, weil er Zugänge an seinen Händen hatte“, sagt Veronica. Aber bald wurde ihnen klar, dass es einen anderen Grund geben musste.

“Ich sagte einer der Schwestern, dass William wie gelähmt sei. Nur einige Nächte später war mein Mann an der Reihe, bei William zu schlafen. Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Deshalb wurde William zum Röntgen geschickt.“ Das Röntgenbild zeigte einige Blutgerinnsel in Williams Gehirn. „Diese Information weckte die gleichen schrecklichen Gefühle, die uns schon damals überfielen, als der Kardiologe uns über den Herzfehler unseres Sohnes aufklärte“, sagt Veronica.

Sauerstoffmangel im Gehirn

Am nächsten Tag wurde ein MRT durchgeführt, was auf einen Sauerstoffmangel im Gehirn hinwies. „Sie teilten uns mit, dass William eine Zerebralparese hat. Diese Nachricht war zu viel für mich und ich fing an zu weinen“, erinnert sich Veronica. „Ich sperrte mich im Waschraum ein und ließ den Wasserhahn laufen, um mein Schluchzen zu übertönen. Nicklas musste das Gespräch mit den Ärzten alleine fortsetzen.“

Der Sauerstoffmangel war im rechten und linken vorderen Teil des Gehirns aufgetreten; in dem Teil, der für die motorischen Funktionen zuständig ist. Die Schädigung betraf überwiegend die rechte Hirnseite, welche die linke Körperhälfte steuert. Aber auch in den hinteren Gehirnarealen, wo die visuelle Wahrnehmung abläuft, wurde Sauerstoffmangel diagnostiziert. „Ich konnte es einfach nicht glauben und dachte: ’Sie haben William zerstört.’ Wir kamen mit einem gesunden kleinen Jungen ins Krankenhaus und verließen den Operationssaal mit einem teilnahmslosen und von Apparaten abhängigen Kind“, klagt Veronica.

William konnte sich nicht aufsetzen, weil sein Nacken und seine Beine instabil waren. Auch die Arme konnte er nicht bewegen. Einzig sprechen und mit den Füßen strampeln war ihm möglich. Veronica erinnert sich, dass sie es bereute, der Operation zugestimmt zu haben. „Aber wir hatten keine Wahl“, erklärt sie. „Ohne die Operation wäre Williams Leben sehr schwer gewesen und es hätte allmählich zum Tod geführt. Und natürlich möchte jeder das Beste für sein Kind. Für William sollte dies mit der TCPC-Operation erreicht werden. Nun wird er – ein sturer kleiner Kerl der er ist – zwar voller Lebensfreude, aber in seinem eigenen Tempo und mit Einschränkungen leben müssen, bis eines Tages eine Transplantation nötig wird. Aber wir versuchen, jetzt noch nicht zu oft daran zu denken und hoffen, dass uns noch viel Zeit bis dahin bleibt. Obwohl wir es immer im Hinterkopf haben.“

Krankengymnastik steigert die Erfolge

(© Nicklas Öbom)

„Williams Krankengymnastin Charlotte war eine große Hilfe, als unsere Situation ziemlich trostlos aussah. Sie wollte nicht aufgeben und arbeitete jeden Tag mit William – im Kampf, ihm seine Beweglichkeit wenigstens teilweise wieder zu geben. William war oft ungehalten und verzagte schnell. Vor der Operation konnte er laufen und nun versagten ihm auf einmal die Beine. Wenn er im Rollstuhl saß, musste sein Kopf gestützt werden, damit er nicht auf die Seite kippte. Er war frustriert und ängstlich und erkannte seinen eigenen Körper nicht wieder“, erzählt Veronica. Manchmal lag er friedlich mit seinen Eltern an der Seite und seinem Stoff-Tiger und Teddybär in Reichweite im Bett und schaute Bob der Baumeister. Aber da er seinen Kopf nicht drehen konnte, um zu schauen, ob Mutter und Vater wirklich noch da waren, fragte er in regelmäßigen Abständen nach. Und sobald er jemanden in weißer oder grüner Krankenhauskleidung sah, schrie er: "Oh, oh, oh, das tut weh!" Vor Charlottes dunkelroter Dienstkleidung hatte er jedoch keine Angst. Sie gab Nicklas und Veronica auch Tipps wie sie ihm helfen konnten, die bewegungsunfähigen Körperteile zu massieren.

Ein Psychologe erklärte den Eltern, dass William erheblich unter Stress stünde, dass er sich in einer Burn-out Phase befunden hätte und jetzt in einer noch schlimmeren Lage wäre.
Daraufhin wurde vereinbart, dass Ärzte und Pfleger nur dreimal täglich zu ihm kommen sollten, vorzugweise immer die gleichen Personen. Weil er so ängstlich war, wurde einvernehmlich beschlossen, ihm bei jeder neuen Intervention ein Beruhigungsmittel zu verabreichen. „Insgesamt wurde er elfmal sediert“, sagt Nicklas.

Ein richtiges Wunderkind

Veronica, Nicklas und Charlotte kämpften tapfer weiter und erzielten schrittweise Erfolge. Heute kann William wieder laufen, sein Nacken ist stabil und er benutzt beide Arme, obwohl er die linke Hand nur zögerlich einsetzt. „In Lund nennen sie ihn das Wunderkind“, lacht Nicklas. Seit seiner Entlassung geht William regelmäßig zu einem Neurologen, der überzeugt ist, dass seine motorischen Fähigkeiten zu 97 Prozent wieder hergestellt werden können. Trotzdem ist noch nicht geklärt, wie stark seine Sehfähigkeit betroffen ist und ob er Lernschwierigkeiten haben wird.

“Trotz allem, was William in seinem zweieinhalbjährigen Leben widerfahren ist, ist er ein geselliger kleiner Junge, der das Leben liebt”, erklärt Veronica stolz. “Und es scheint, dass er viele Wunder in sich trägt – er erstaunt uns immer wieder.“

Die ganze Familie möchte nach einem ganzen Jahr voller Krankenhausaufenthalte zurück in das normale Leben. Nicklas und Veronica hoffen, dass William bald wieder anfängt zu essen. Seit seiner Operation hat er bis auf ein paar kleine Bisse Käse fast nichts gegessen. Seine Nährstoffe werden ihm durch Haferschleim und nährstoffhaltige Drinks zugeführt. Die Mahlzeiten ziehen sich oft über Stunden hin.

“Wir haben zwei Jahre lang gekämpft und das hat Spuren hinterlassen. Fanny hat auf vieles verzichten müssen: sowohl auf Spaß in der Freizeit und gemeinsame Zeit mit ihren Freunden als auch zu Hause. Sie war oft auf sich alleine gestellt, weil wir uns um William gekümmert haben“, meint Veronica traurig. „Fanny ist ein hilfsbereites und verständnisvolles Mädchen, aber wir haben oft Tränen in ihren Augen gesehen, wenn sie sich in ihr Zimmer verkroch und dort werkelte, während vor ihrer Tür das Chaos ablief.“

Die Frage nach dem Warum

Veronica und Nicklas fragten den Chirurgen, was während der Operation schief gegangen sei. Er erklärte, dass der Sauerstoffgehalt wahrscheinlich eine Zeitlang nur bei 40 Prozent lag. Das konnte passieren, weil der einzusetzende Shunt zu groß war und ein neuer bestellt werden musste. Das Ganze dauerte vier oder fünf Minuten – vielleicht zu lang für William. „Ein Sauerstoffgehalt von nur 40 Prozent über diesen Zeitraum reicht bei manchen Kindern eben nicht. Ich glaube, sie haben diesen Wert inzwischen erhöht“, sagt Veronica und nimmt Cristofer-Robin hoch – ihren anderen Sohn, der noch mindestens zwei Herzoperationen vor sich hat.

Autor(en): Ulrika Hallin
Letzte Aktualisierung: 2010-03-17