Hintergrund: Ziele der Familienorientierten Rehabilitation

Rehabilitationsziele für die Eltern

Das übergeordnete Ziel der Familienorientierten Rehabilitation (FOR) ist es, optimale Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Heilung des kranken Kindes sowie für die Krankheitsverarbeitung der ganzen Familie zu schaffen. Die FOR verfolgt deshalb

  • die nachhaltige Wiederherstellung der körperlichen und/oder psychischen Stabilität
  • die Steigerung der Leistungsfähigkeit
  • die Stärkung der erzieherischen Kompetenz
  • die eigenverantwortliche Entscheidungskompetenz der Eltern.

Dass Eltern herzkranker Kinder besonders belastet sind, zeigt z. B. eine Studie aus Schweden: Verglichen mit Eltern von gesunden Kinder litten sie bedeutend häufiger unter Depressionen, Ängsten und psychosomatischen Beschwerden. Mit Hilfe der FOR soll

  • die Paarbeziehung stabilisiert sowie psychische Störungen und Ängste abgebaut werden
  • eine stressbedingte Verhaltensstörung wie z. B. problematisches Ess- und Bewegungsverhalten sowie übermäßiger Alkohol- oder Nikotingenuss vermindert werden
  • das Gesundheitsbewusstsein der Familien verbessert werden, z. B. durch Abbau von Nervosität und Konzentrationsschwäche, die durch Mangel an Freizeit und Entspannung entstehen können.

Rehabilitationsziele für herzkranke Kinder

Die jungen Patienten werden zu weiterführenden ambulanten Behandlungen motiviert. Ferner erlernen sie den Umgang mit körperlichen Einschränkungen, z. B. das Erkennen und Beachten der eigenen Grenzen. Durch entsprechende Bewegungsprogramme werden die motorische Leistungsfähigkeit und die Körperkoordination trainiert. Wenn möglich wird Kontakt zu einer örtlichen Kinderherzsportgruppe hergestellt, so dass das herzkranke Kind dort weiter unter ärztlicher Aufsicht Sport treiben kann. Gemeinsam mit den Therapeuten arbeiten die Kinder außerdem an einer psychischen Stabilisierung und Entwicklungsoptimierung in folgenden Bereichen:

  • Motorische Fähigkeiten
  • Lern- und Leistungsmotivation
  • Aufmerksamkeit und Konzentration
  • Selbstwertgefühl
  • Ängstlichkeit
  • Soziale Kompetenz
  • Fähigkeit zur Bewältigung von schwierigen Situationen (Coping)

Rehabilitationsziele für Geschwister

Da sich die Aufmerksamkeit der Eltern meist ausschließlich auf das kranke Kind konzentriert, fühlen sich Geschwisterkinder häufig als Schattenkinder. Außerdem kann die Krankheit des herzkranken Kindes die gesamte Familienatmosphäre trüben. Deshalb zeigen manche Geschwisterkinder Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Bettnässen, Einkoten, Aggressionen), die in der FOR diagnostiziert und behandelt werden können.

Falls sich Geschwister oder andere Familienmitglieder krankheitsbedingt isoliert fühlten, erhalten sie Hilfe zur Stabilisierung ihres Familiensystems. Durch die Klärung der familiären Beziehungen untereinander gehen sie als gestärkte und kompetente Persönlichkeiten aus der FOR.

Interdisziplinäre Arbeit führt zum Erfolg

Damit die FOR erfolgreich verläuft, sollten Akteure unterschiedlicher Berufsgruppen involviert sein:

  • Kinderärzte mit kardiologischer Qualifikation
  • Allgemeinarzt/Internist/Orthopäde, gegebenenfalls konsiliarisch
  • Klinische Psychologen/Psychotherapeuten, evtl. Neuropsychologen
  • Sozialpädagogen / Sozialarbeiter
  • Kinderkrankenfachpflegekräfte
  • Physiotherapeuten
  • Sporttherapeuten bzw. vergleichbare Berufsgruppen
  • medizinische Bademeister und Masseure
  • Ergotherapeuten
  • Heilpädagogen, Kunsttherapeuten und vergleichbare Berufsgruppen
  • Pädagogische Fachkräfte / Erzieher
  • Diätassistenten
  • Lehrkräfte (möglichst Anbindung an Krankenhausschule)

Wissenschaftliche Evaluation der FOR

Bei einer 2001 von Kanth et al. durchgeführten klinischen Optimierungsstudie in Bad Oexen wurden 116 Familien befragt (111 Mütter, 19 Väter, alle Patienten und 34 Geschwisterkinder). Nach der Teilnahme an einer FOR zeigten sich bei Eltern und Patientenkindern hochsignifikante Verbesserungen der Lebensqualität sowohl im kognitiven und emotionalen als auch im körperlichen Bereich.

Eine weitere Evaluation einer deutschen Reha-Klinik von West aus dem Jahr 2001–2004 ergab, dass die Beschwerden der Geschwisterkinder eine große Übereinstimmung mit denen in klinischen und epidemiologischen Studien aus England zeigen. Die hohe Anzahl von Kindern mit emotionalen oder Verhaltensauffälligkeiten reduzierte sich im Verlaufe einer FOR bei den Patientenkindern signifikant (um 50 Prozent) – bei den Geschwistern allerdings lediglich um 26 Prozent.

Ein hoher Prozentsatz – insbesondere der Väter – litt unter starken körperlichen Beschwerden wie Übelkeit, Atemnot oder Hitzewallungen. Diese Beschwerden nahmen im Lauf der Rehabilitation merklich ab. Viele Familienmitglieder klagten über motorische Spannungen, Freudlosigkeit und depressive Verstimmungen. Dies deckt sich mit niederländischen Forschungsergebnissen von Utens et al. aus dem Jahr 2001, wo ebenfalls ein hohes Maß an psychischen Beschwerden festgestellt wurde.

Auch noch sechs Monate später waren laut Wests Studie positive Auswirkungen der FOR nachzuweisen: Depressive Symptome und Angst waren weitaus geringer ausgeprägt als zu Beginn der Rehabilitation. Die befragten Mütter beurteilten das  familiäre Gleichgewicht ein halbes Jahr nach der FOR noch deutlich besser als vor der Maßnahme. Väter hingegen bewerteten die Dauer der positiven Auswirkungen etwas kürzer.

Quellen

Cadman D, Boyle M Offord DR. The Ontario Child Health Study: Social adjustment and mental health of siblings of children with chronic health problems. Developmental and Behavioral Pediatrics 1988; 9: 117-121.

Kanth E, Kilborn R, Weidenbach A, Bretschneider-Meyer A, Dubowy K, Bode U Kusch M, Meyer H. Familienorientierte Rehabilitation bei anegborenen Herzfehler: Erste Ergebnisse einer empirischen Studie als Antwort auf aktuelle Fragen. Kinder- und Jugendarzt 2001; 32: 248-250.

Lawoko S, Soares JJF. Distress and hopelessness among parents of children with congenital heart disease, parents of children with other diseases and parents of healthy children. Journal of Psychosomatic Research 2002; 52: 193-208.

Sticker EJ, Leurs S, Bjarnason-Wehrens B, Dordel S Schickendantz S (2003). Sport macht stark – Herzkranke Kinder und Jugendliche im Sportunterricht. Herausgegeben vom Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. Aachen, Weiss-Verlag, Monschau.

Petermann F (Ed.) (1994) Chronische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen. Chronic diseases in children and adolescents. Quintessenz, Muenchen.

Utens EMWJ, Versluis-Den Bieman HJ, Verhulst FC, Witsenburg M, Bogers, AJJC Hess J. Psychological distress and styles fo coping in parents of children awaiting elective cardiac surgery. Cardiology in the Young 2000;10: 239-244.

West C (2005). Evaluation des familienorientierten Behandlungskonzepts der Nachsorgeklinik Tannheim am Beispiel kardiologisch erkrankter und mukoviszidosekranker Kinder und ihrer Familien. Roderer, Regensburg.