Wie gesund ist Sport für Herzkinder?
- Sabine Schickendantz (© Privat)
Dr. Sabine Schickendantz ist Kinderkardiologin und untersucht seit 1994 in Sportprojekten den Entwicklungsprozess von Kindern mit angeborenen Herzerkrankungen. Die Expertin rät: So viel Sport wie möglich und so wenige Einschränkungen wie nötig.
Frau Schickendantz, Eltern und Ärzte sind manchmal unsicher, welche Art und Intensität der sportlichen Betätigung sie Kindern mit angeborenem Herzfehler empfehlen sollten. Bei Ihrer Pilot-Studie „Sport für Kinder mit angeborenen Herzfehlern“ kamen Sie zu dem Schluss, dass für diese Kinder keine speziellen Sportangebote empfohlen werden sollten. Können Sie uns bitte erklären, wieso?
Jede Sportart kann mit sehr unterschiedlicher Intensität betrieben werden, von lockerer Freizeitbetätigung bis zum Leistungs- und Wettkampfsport. Wenn man eine bestimmte Sportart empfehlen würde, wäre damit noch längst nichts über die Intensität gesagt, mit der diese Sportart betrieben würde.
Man kann die Sportarten auch nach eher statischen und eher dynamischen Belastungsformen einteilen. Jede Sportart hat statische und dynamische Anteile, aber da gibt es auch große Unterschiede: z.B. Bodybuilding Tauziehen, Tauchen und Klettern sind mehr statisch. Gymnastik, Fußballspielen, Fahrradfahren und Joggen sind hingegen mehr dynamisch. Bei statischer Belastung besteht die Gefahr, dass Pressatmung notwendig wird. Dies sollte bei angeborenen Herzfehlern in jedem Fall vermieden werden, denn das führt zu einem Anstieg des Drucks auf der rechten Herzseite u. a. mit der Gefahr von schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen. Daher sollte der statische Anteil beim Sport nicht zu groß sein bzw. sollten Sportarten mit mehr statischen Anteilen mit nur geringer Intensität betrieben werden.
Was sollte Ihrer Meinung nach die Grundlage für Sport-Empfehlungen sein?
Die Basis ist der postoperative Restbefund. Dazu gibt es eine eindeutige Klassifikation, welche Intensität von Sport bei welchem Restbefund erlaubt ist. Es besteht weniger die Gefahr einer Überlastung als dass Kinder mit schwerwiegenden Restbefunden ihre Leistung nicht steigern können, weil sie durch eine eingeschränkte Herzleistung limitiert sind. Sie werden dann zum Beispiel beim Schulsport ungerecht benotet. Ist der Herzfehler so schwerwiegend, dass eine Operationsindikation besteht, sollte die Operation durchgeführt werden und bis dahin kein Sport gemacht werden. Drei bis sechs Monate nach der Operation bzw. bis zur endgültigen Abheilung sollte ebenfalls kein Sport getrieben werden.
Wie haben sich die Sport-Empfehlungen innerhalb der letzten Jahre verändert?
Bezüglich der Einschätzung hat sich in den letzten Jahren einiges in Richtung Liberalisierung geändert: z. B. wurden Übungen an Geräten in Sportstudios bisher wegen des relativ hohen statischen Anteils bei angeborenen Herzfehlern kaum empfohlen. Dieser Sport führt aber dazu, dass die Muskulatur gleichförmig gebildet wird. Wenn die Übungen unter fachlicher Anleitung richtig praktiziert werden – also keine Kreislaufbelastung z. B. durch hohe Gewichte und somit keine Pressatmung zustande kommt – erscheint es eher günstig als gefährlich. In ähnlicher Weise ist man inzwischen dazu übergegangen, auch Klettern und Segeln zu erlauben, wenn die statische Belastung gering gehalten wird.
Wie sieht es mit Leistungs- und Wettkampfsport und der Mitgliedschaft in Sportvereinen aus?
Bei manchen postoperativen Restbefunden ist Leistungs- und Wettkampfsport zu vermeiden. Denn es besteht die Gefahr, dass die Kinder in Wettkampfsituationen – aber nicht während des Trainings – über ihre Grenzen hinausgehen. Außerdem erscheint Wettkampf für die motorische Entwicklung nicht unbedingt erforderlich.
Vereinssport sollte nicht generell ausgeschlossen werden, da die soziale Funktion des Zusammenseins im Verein sehr wichtig ist. Eine gute Lösung bei stärker eingeschränkten Kindern kann die Mitgliedschaft in einem Behindertensportverein sein. Beim Vereinssport kommt es darauf an, dass der Trainer sehr gut informiert ist und darauf achtet, dass sich die Kinder in der Gruppensituation nicht überlasten. Beim Fußball in den Bambini-Gruppen dürfte dies in den meisten Fällen unproblematisch sein. Man sollte aber bei der Entscheidung von vornherein berücksichtigen, dass das Kind im weiteren Verlauf vielleicht nicht mehr mithalten kann und deshalb aufhören muss, was zu großen Enttäuschungen führen kann.
Wie würden Sie Ihre Empfehlungen zusammenfassen?
Aus meiner Sicht wird ein totales Sportverbot nur in den seltensten Fällen nötig sein. Es sollte generell so viel Sport wie möglich erlaubt werden. Dabei kommt es nicht auf die Sportart selbst sondern auf die Intensität an, in der der Sport betrieben wird. Die Empfehlung sollte sich weniger an dem Herzfehler selbst als an dem postoperativen Restbefund orientieren. Auferlegte Einschränkungen sollten auch dem Kind gegenüber immer genau begründet werden, damit sie verstanden werden. Dies begünstigt, dass sie auch eingehalten werden.
Über Sabine Schickendantz
Dr. Sabine Schickendantz arbeitete von 1980 bis 2007 als Kinderkardiologin in der Abteilung für pädiatrische Kardiologie der Universität Köln. Seit 1994 hat sie Studien über den Entwicklungsprozess von Kindern mit angeborenen Herzerkrankungen in verschiedenen Sportprojekten durchgeführt. Derzeit plant sie eine multizentrische Studie zur Untersuchung der Wirkung von therapeutischem Reiten bei Kindern mit angeborenen Herzfehlern, die an sechs deutschen Herzzentren durchgeführt werden soll.
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