Mitwachsende Herzklappen – Hoffnung für junge Patienten?

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Bereits seit einigen Jahrzehnten gibt es die Möglichkeit des Pulmonalklappenersatzes, wenn die eigene Klappe nicht mehr ausreichend arbeitet. Leider halten die neuen Klappen oft nicht ein Leben lang, sondern müssen irgendwann ausgetauscht werden. Das ist in der Regel mit Reoperationen verbunden, die vor allem junge Patienten betreffen, da die transplantierten Klappen nicht mit den Kindern mitwachsen.

Die Lösung dafür könnte ein neues Verfahren aus dem Bereich des Tissue Engineering sein, bei dem neue Klappen dadurch hergestellt werden, dass menschliche Spenderklappen von ihren Zellen befreit (=dezellularisiert) werden und sich darauf neue körpereigene Zellen des Empfängers ansiedeln können. Man vermutet, dass diese Klappen mitwachsen können. So fand man in einer aktuellen deutsch-moldavischen Studie unter der Leitung von Prof. Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover Hinweise darauf, dass diese neuen dezellularisierten menschlichen Klappen, kurz DPH genannt, Spenderklappen von Rindern (Xenografts) und den  herkömmlichen, konservierten menschlichen Spender-Klappen (konventionelle Homografts) überlegen sein könnten.

Mittels Tissue Engineering gezüchtete Klappen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sich an den implantierten Klappengerüsten Zellen des Empfängers ansiedeln können, so dass immunologische Abwehrreaktionen des Körpers ausbleiben sollten. Abgesehen davon scheinen DPH nicht sonderlich anfällig für Degeneration oder Verkalkung zu sein – die häufigsten Gründe für Reoperationen beim konventionellen Pulmonalklappenersatz. Am interessantesten ist jedoch, dass es Anzeichen für ein Mitwachsen der beschriebenen Homografts gibt. „Bisher wurde keine Klappe abgestoßen und es musste noch kein Patient reoperiert werden. Es spricht vieles dafür, dass diese Herzklappen wesentlich länger halten als bisherige Klappen, die nicht dezellularisiert wurden – und dafür, dass sie sogar mitwachsen“, sagt Prof. Haverich. Die Fähigkeit, mitzuwachsen, ist besonders für Neugeborene und kleine Kinder relevant, da dadurch die Häufigkeit notwendiger Reoperationen reduziert werden könnte.

Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf einem retrospektiven Vergleich innerhalb einer relativ kleinen Gruppe von Patienten, die während eines fünfjährigen Beobachtungszeitraums mit dezellularisierten Homografts, Xenografts oder konventionellen Homografts behandelt wurden. Sie sind folglich als vorläufig zu betrachten. Aussagekräftige Daten soll eine im Januar 2012 gestartete große prospektive Studie (ESPOIR) unter Leitung der Hannoveraner Studiengruppe liefern, an der sich insgesamt acht führende europäische Kinderherzzentren beteiligen und die von der Europäischen Union gefördert wird.

An einem ähnlichen Ansatz forscht seit einigen Jahren eine weitere deutsche Arbeitsgruppe an der Charité Berlin unter der Leitung von Dr. Pascal Dohmen. Die von dieser Gruppe mittels Tissue Engineering entwickelten Klappen, die ebenso auf (konservierten) dezellularisierten Klappengerüsten basieren, sind patentiert und seit 2004 im klinischen Einsatz.

Auf dem Gebiet des Tissue Engineering gibt es derzeit mehrere verschiedene Ansätze der Züchtung von Klappen. Sie unterscheiden sich hauptsächlich im verwendeten Trägermaterial. Neben biologisch-basierten Methoden wie die oben beschriebenen gibt es Untersuchungen mit synthetischen Trägermaterialien. Gemein ist allen diesen Ansätzen, diese Klappengerüste mit den Zellen des Empfängers zu besiedeln. Die Klappengerüste dienen dabei als Matrix. Während der Pulmonalklappenersatz auf der Grundlage von dezellularisierten Homografts bereits im klinischen Einsatz ist, befinden sich die Ansätze mit synthetischen Trägermaterialien jedoch noch im experimentellen Stadium.

In der Praxis existieren verschiedene Ansichten, welche Methode für den Pulmonalklappenersatz am besten geeignet ist. Vor allem die Fähigkeit des Mitwachsens der mittels Tissue Engineering gezüchteten Herzklappen wird unter Experten zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kontrovers diskutiert. Sie scheinen jedoch eine vielversprechende Option für den Pulmonalklappenersatz zu sein und könnten die Behandlung der Patienten, die eine neue Pulmonalklappe benötigen, revolutionieren.

Klappenersatz – Grundlagen

Grundsätzlich kann jede Klappe ersetzt werden. Im menschlichen Herz gibt es vier Klappen:

  • Mitralklappe: zwischen linkem Vorhof und linker Kammer

Ein Klappenersatz kann nötig werden, wenn eine dieser Klappen verengt ist (Stenose) oder nicht richtig schließt (Insuffizienz) und deshalb nicht mehr richtig funktioniert.

Man unterscheidet zwischen folgenden Arten des Klappenersatzes

Biologische KlappenMechanische KlappenNeu:
Mittels Tissue Engineering gezüchtete Klappen
Worum handelt es sich?Menschliches oder tierisches (Schwein/Rind) Gewebe, das speziell behandelt wurde, damit es vom Körper des Empfängers toleriert wird.

Verfügbar mit oder ohne Gerüst (Stent)
Künstliche Klappen aus synthetischem Material, Metall oder Graphit

Bestehend aus künstlichen Segeln, die an einem Gerüst befestigt sind
Gerüste aus biologischem (menschlich/tierisch) oder synthetischem Material, die von den eigenen Zellen des Empfängers besiedelt werden
StärkenVerzicht auf lebenslange Einnahme von BlutverdünnernWahrscheinlich unendliche HaltbarkeitLangzeit-Ergebnisse noch nicht verfügbar!

Vermutlich: weniger körperliche Abwehrreaktionen, weniger Degeneration/Verkalkung, Fähigkeit mitzuwachsen
SchwächenNicht so haltbar wie mechanische Klappen

Anfällig für Verkalkung oder Abnutzung
Lebenslange Behandlung mit Blutverdünnern nötig

Hörbares Klick-Geräusch, das viele Patienten als störend empfinden

Bisher keine bekannt

Langzeitergebnisse sind abzuwarten


Die jeweils beste Variante des Klappenersatzes wird individuell mit dem behandelnden Arzt bestimmt.

Pulmonalklappenersatz

Ein Pulmonalklappenersatz kann für all diejenigen angeborenen Herzfehler eine Option darstellen, die mit Fehlbildungen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts einhergehen, d. h. wenn der Durchgang zwischen der rechten Kammer und der Lungenschlagader verschlossen oder verengt ist. Dies ist bei Herzfehlern wie der Fallot-Tetralogie, der Pulmonalstenose oder der Pulmonalatresie der Fall.

Laut der deutschlandweiten PAN Studie, ist die Pulmonalstenose der dritthäufigste angeborene Herzfehler und macht 6,2 % aller angeborenen Herzfehler aus (6,6 pro 10.000 Lebendgeburten). Weiterhin zählt die Fallot-Tetralogie laut PAN zu den drei häufigsten schweren angeborenen Herzfehlern, und betrifft 2,5 % aller angeborenen Herzfehler (2,7 pro 10.000 Lebendgeburten). Bei der Pulmonalatresie, die mit oder ohne intakte Kammerscheidewand auftreten kann, handelt es sich um einen sehr seltenen schweren angeborenen Herzfehler, von dem ca. 1 pro 10.000 Lebendgeburten betroffen ist.

Quellen

  • Cebotari S, Tudorache I, Ciubotaru A, Boethig D, Sarikouch S, Goerler A, Lichtenberg A, Cheptanaru E, Barnaciuc S, Cazacu A, Maliga O, Repin O, Maniuc L, Breymann T, Haverich A. Use of Fresh Decellularized Allografts for Pulmonary Valve Replacement May Reduce the Reoperation Rate in Children and Young Adults: Early Report. Circulation 2011;124(11 Suppl):S115-23.
  • Cebotari S, Tudorache I, Schilling T, Haverich A. Tissue Engineering von Herzklappen und Myokard. Herz 2010;35:334–341.
  • Dohmen PM, Konertz W. Tissue-Engineered Heart Valve Scaffolds. Review. Ann Thorac Cardiovasc Surg 2009;15(6):362.7.
  • Boethig D, Goerler H, Westhoff-Bleck M, Ono M, Daiber A, Haverich A, Breymann T. Evaluation of 188 consecutive homografts implanted in pulmonary position after 20 years. Eur J Cardiothorac Surg 2007;32(1):133-42.
  • Dohmen PM, Lembcke A, Hotz H, Kivelitz D, Konertz WF. Ross operation with a tissue-engineered heart valve. Ann Thorac Surg 2002;74:1438-42.
Autor(en): Eva Niggemeyer
Letzte Aktualisierung: 2012-02-23